24/7-Gebet im Jubiläumsjahr „300 Jahre Herrnhut“

Vielleicht hat es sich schon herumgesprochen, dass die kleine Stadt Herrnhut dieses Jahr ihren 300. Geburtstag feiert. Obwohl während des ganzen Jahres Sonderveranstaltungen und Aktionen im Zusammenhang mit diesem Jubiläum stattfinden, gab es eine besondere Jubiläumswoche vom 12. bis 19. Juni. Von den Ereignissen in dieser Woche will ich kurz berichten, dabei besonders das seinerzeit in Herrnhut begonnene 24/7 Gebet hervorheben und schließlich auf ein „Gebets-Convocation“ Ende Juli / Anfang August hinweisen.
 
Mittwoch, 15. Juni 2022: Begonnen hat für mich alles im Festzelt, wo Herrnhuter Archivfotos seit den Anfängen der Fotografie mit entsprechenden Erklärungen zu sehen waren. Alles natürlich aus Herrnhut selbst – sodass mancher seinem Urgroßvater oder seiner Ururgroßmutter auf der Leinwand begegnen konnte.

Donnerstag, 16. Juni: Das traditionelle Liebesmahl im Kirchensaal der Herrnhuter Brüdergemeine (kein Druckfehler!), bei dem Rosinenbrötchen mit Tee den Anwesenden in den Sitzreihen angeboten werden, bereicherten Gäste aus dem In- und Ausland mit recht unterschiedlichen Beiträgen.

Traditionelles „Liebesmahl“ im Herrnhuter Kirchensaal

Das eigens für dieses Jubiläum von Olaf Bretschneider aus Herrnhut-Ruppersdorf geschriebene Festspiel – überwiegend besetzt durch Gemeindeglieder – rührte teilweise zu Tränen. Nachgespielt wurden die Verfolgung in Böhmen und Mähren, die Flucht nach Herrnhut, das Gemeindeleben in diesem neugegründeten Ort, die missionarische Gesinnung (am Beispiel von Grönland) – bis hin zum heutigen Auftrag. Und das nicht nur vorne auf der Bühne, sondern im Kirchensaal verteilt. Recht originell, mit lustigen, aber auch ganz ernsten Szenen.

Glaubensflüchtlinge kommen erschöpft in Herrnhut an

Freitag, 17. Juni: Der eigentliche Jubiläumstag
An diesem Tag im Jahre 1722 wurde der erste Baum gefällt, um nach und nach die kleine Siedlung von Glaubensflüchtlingen unter der Hut des Herrn aufzubauen. Obwohl hier eindeutig unser Herr Jesus Christus gemeint ist, geschah es natürlich auch unter der Obhut des 22-jährigen Herrn Graf von Zinzendorf, der später auch Flüchtlingen unterschiedlicher Prägung „Asyl“ gewährte. Selbst den seit der Reformation verfolgten Schwenckfeldern.

Für mich persönlich begann Freitag, der 17. Juni, schon um 3.40 Uhr. Ich hatte im Jesus-Haus Herrnhut, wo ich übernachtete, einen methodistischen Superintendenten aus Groß Britannien kennengelernt. Er hat die Einladung der Jesus-Häusler aufgegriffen, als Beitrag zum Jubiläumsjahr von Frühjahr bis Herbst in Anlehnung an die ursprüngliche 100-jährige Herrnhuter Gebetskette Lobpreis-, Anbetungs- und Fürbittestunden 24/7 zu halten. Das bedeutet: 24 Stunden pro Tag, 7 Tage in der Woche. Dazu hat diese charismatische Gemeinschaft Freunde aus dem In- und Ausland eingeladen.
 
Dieser englische Pastor hatte nun am 17. Juni eine nächtliche Gebetsschicht von 4 Uhr bis 5 Uhr übernommen. Ich gesellte mich dazu. Nach dem Vorbild des Gebetshauses Ffald y Brenin an der Westküste von Wales (vgl. Charisma 166, S. 17–19) beteten wir liturgisch und frei. Anschließend gingen wir als kleine Gruppe von Betern zu der Anhöhe Herrnhuts und bestiegen den dortigen Turm, um von der Aussichtsplattform aus – wie die Ffald y Breniner es jeden Freitag tun – für die Bewohner der Gegend zu beten und sie im Namen Jesu zu segnen.

Um 8 Uhr folgte eine Besonderheit unter den sonst von der Brüdergemeine und der Kommune verantworteten Festveranstaltungen: Das Jesus-Haus (juristisch: Christliches Zentrum Herrnhut) hatte eine öffentliche Lobpreis- und Anbetungsstunde im Festzelt. Anschließend sprach ein der Charismatischen Erneuerung nahestehender Pfarrer der Brüder-Unität.

Hervorheben möchte ich noch den Festakt zur Ortsgründung und die Denksteinfeier an diesem Tag. Der Festakt fand Indoors statt, nämlich im Herrnhutischen Kirchensaal. Eingangsworte des Bürgermeisters, Festrede und kurzweilige Grußworte wirklich guten Inhalts wurden umrahmt von beeindruckenden Musikstücken (Orgel und ein Saxophonquartett).

Als Übergang vom Festakt zur Denksteinfeier spendierte die Stadtverwaltung einen Imbiss.

Die Denksteinfeier wurde dann im Wald abgehalten, wo der Zimmermann Christian David den ersten Baum für das erste Haus in Herrnhut am 17. Juni 1722 gefällt hatte. Die Prozession dorthin und zurück wurde mit bekannten geistlichen Liedern von Blechbläsern begleitet.

Posaunenbläser gehen voran zum „Denkstein“
Hier fällte Zimmermann Christoph David den ersten Baum zum Bau von Herrnhut

Kindermusical und Festumzug

Samstag, 18. Juni: Als eine schöne Ergänzung empfand ich das Kindermusical „Herrnhut vor 300 Jahren“ – ein Beitrag des Christlichen Zentrums Herrnhut. Im Kirchgarten, also im Freien aufgeführt, begegneten wir Graf Zinzendorf, seinem Freund Friedrich Wattewille, durften miterleben, wie die beiden durch ihren persönlichen Einsatz und das Wirken des Heiligen Geistes den Dissens unter den in Herrnhut angesiedelten Glaubensflüchtlingen unterschiedlicher Herkunft und Prägung im August 1727 stillten (später in Zinzendorfs Lied „Herz und Herz vereint zusammen“ ausgedrückt) und wie die ersten Losungen entstanden und später auch die Sterne von Herrnhut aus in viele Länder gingen – die sogenannten Herrnhuter Sterne.

Sonntag, 19. Juni: Den gesellschaftlichen Höhepunkt der Festwoche bildete am Sonntagnachmittag der Umzug durch Herrnhut. Hier konnten sich Vereine und Interessengruppen genauso präsentieren wie Museen und Denkmalschützer. Ich selbst fand mich unter den Schwenckfeldern wieder. Auch diese seit der Lutherischen Reformation als Schwärmer oder Spiritualisten gebrandmarkten Gläubigen fanden auf Graf Zinzendorfs Landgut trotz ihrer etwas anderen Prägung Aufnahme. Das Plakat zeigt das einzige Schwenckfelder Haus, das heute noch in Berthelsdorf / Herrnhut steht. Die Rückseite des Schildes dann die von Regierungsseite nach wenigen Jahren zum Schmerz von Graf Zinzendorf erzwungene Auswanderung der sogenannten Schwenckfelder.

Zum Nachdenken und Nacheifern

Es ist schon erstaunlich, dass von dem kleinen Ort Herrnhut eine geistliche Bewegung in die ganze Welt ausgegangen ist, die heute in mehr als 50 Ländern ihren Niederschlag gefunden hat. Es ist ein stolzes Erbe, auf das die Herrnhuter Brüdergemeine dankbar zurückblickt.

Besonders die Jugendlichen unter ihnen erlebten in den 1970er-Jahren einen geistlichen, charismatisch geprägten Neuaufbruch. Nach der gottgeschenkten Wende nahmen sie die Möglichkeit wahr, sich als Christliches Zentrum Herrnhut zu konstituieren. Schließlich konnten sie das ehemalige Herrnhuter Krankenhaus aufkaufen, damit es ein Haus der Heilung für Geist, Seele und Leib werde, ein Haus, in dem der Name JESUS auf alte und auf neue Weise gelobt und gepriesen wird, ein Ort des Gebets, der Fürbitte und der Sendung. Neben ihrer Beteiligung an der oben beschriebenen Jubiläumswoche (z.B. mit der öffentlichen Lobpreiszeit am Freitagmorgen, dem Kinder-Musical am Samstagnachmittag, einem kindergottesdienstlichen Programm während des ökumenischen Gottesdienstes am Sonntagvormittag und einem Lobpreiswagen beim abschließenden Umzug durch die Stadt) ist wohl ihr bedeutendster Beitrag die oben erwähnte halbjährige Gebetskette, die am 15. März d. J. startete und noch bis 15. Oktober andauern soll.
 
Unter dem Titel „Feuer auf dem Altar“ nennen die Glaubensgeschwister folgende Gebetsschwerpunkte:

Wir wollen den Namen JESUS erheben und IHN anbeten!
(Hiermit wird deutlich, dass Lobpreis und Anbetung einen ganz wichtigen Platz in diesem 24/7-Gebet einnehmen).

Von den Fürbitteanliegen seien hier folgende genannt:
… für die Einheit im Leib Christi
… für Israel
… für Missionare
… für verfolgte Christen
… für eine Freisetzung von neuen Liedern
… für die Entstehung von vielen Gebetshäusern
… für die Berufung Herrnhuts u.a. auch ein Ort der Zuflucht zu sein
… für Durchbrüche im Bereich von Heilung und Befreiung hier im Jesus-Haus.

In diesem Zusammenhang sei auch eine Gebets-Kooperation, insbesondere mit amerikanischen Betern, vom 29. Juli bis 5. August 2022 erwähnt – eine Art Konferenz im Jesus-Haus Herrnhut, die aber mehr aus hörendem Gebet als aus Vorträgen besteht.
Nähere Informationen hier oder im Büro des Jesus-Hauses: mail@jh-herrnhut.de Tel. 035873-33667 (montags–donnerstags 10.00–12.30 Uhr).

Text: Gerhard Bially

Fotos: Das Eingangsfoto ist vom „Altan“, dem Herrnhuter Aussichtsturm, aus aufgenommen worden mit Blick auf den „Gottesacker“ (Gräber vieler gesegneter Herrnhuter) und die kleine Stadt Herrnhut (Stadtrechte aufgrund ihrer weltweiten Bedeutung). Foto: G. Bially

Copyright der Fotos 1+2: Evang. Brüder-Unität / Erdmanns Carstens
Copyright der Fotos 3+4: Evang. Brüder-Unität / Felix Clemens