Heilung der Gebetsbiographie

Was uns vom Beten abhalten kann

Zum Lernen von Neuem gehört häufig auch, dass wir etwas Altes verlernen, weil es sich uns in den Weg stellt. Jeder von uns hat eine ganz persönliche Geschichte mit dem Gebet, die uns daran hindern kann, tiefer und engagierter zu beten. Darum soll es nachfolgend gehen.

Vor Jahren kam mir im Gebet der Eindruck: „Wenn du wüsstest, was Gebet bewirken kann, dann würdest du nur noch beten!“ Ich dachte damals, das stimmt wohl schon, aber ich war gar nicht so begeistert bei dem Gedanken.

Was löst diese Aussage bei Ihnen aus? Haben Sie Angst, zu denen zu gehören, die „nur beten“?

Durch die verschiedenen Gebetsbewegungen haben wir in letzter Zeit viel über das Gebet gehört – wie wichtig es ist und wofür wir beten sollen. Warum hören wir gerade in letzter Zeit so viel über Gebet, gerade über Fürbitte? Es ist Gnadenzeit: Gott will uns ganz neu auf dieses wunderbare Geschenk des Gebets hinweisen.

Aber auch die Bibel spricht oft davon, dass wir beten sollen und wofür wir beten sollen, weil es zum Wichtigsten in unserem Leben gehört; denn Gebet ist ja zuallererst Gemeinschaft mit Gott.

Dass die Bibel uns an vielen Stellen zum Beten auffordern muss, könnte auch zeigen, dass es uns scheinbar nicht so leicht fällt, zu beten – höchstens in der Not. (Selbst Atheisten fangen in Notlagen oft an zu beten.) Aber wo gibt es eine „Schule des Betens“? Wurde uns jemals das Beten so beigebracht wie z. B. das Rechnen?

„Herr, lehre uns beten“, bat ein Jünger Jesus (Lk 11,1), und auch wir sollten dieses Anliegen haben. Es geht darum, dass wir diesen Schatz des Gebets wieder auspacken. Eine Voraussetzung dafür könnte sein, dass Blockaden fallen, die uns am Beten hindern: Wir müssen z. B. Enttäuschungen verarbeiten oder dürfen nicht auf gängige Lügen über Gebet an sich hereinfallen.

 

 

Enttäuschungen mit dem Gebet

Was uns am meisten in Bezug auf Gebet beeinflusst, sind eigene Erfahrungen, dass es nicht so gekommen ist, wie wir dachten. Haben wir das in unserem Leben erlebt? Gibt es Gebete, die nicht erhört wurden? Nach den Aussagen von Jesus eigentlich nicht! Er hat nämlich gesagt:

– „Alles, um was ihr auch betet und bittet, glaubt, dass ihr es empfangen habt, und es wird euch werden.“ (Mk 11,24)

– „Bittet, und es wird euch gegeben werden; sucht, und ihr werdet finden; klopft an, und es wird euch geöffnet werden! Denn jeder Bittende empfängt, und der Suchende findet, und dem Anklopfenden wird geöffnet werden. Oder welcher Mensch ist unter euch, der, wenn sein Sohn ihn um ein Brot bittet, ihm einen Stein geben wird? Und wenn er um einen Fisch bittet, wird er ihm eine Schlange geben? Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben zu geben wisst, wie viel mehr wird euer Vater, der in den Himmeln ist, Gutes geben denen, die ihn bitten!“ (Mt 7,7–11)

Diese Bibelaussagen sind Einladungen. Gott gibt gerne! Wir beten nicht ins Leere, sondern da ist jemand, der hört und der gibt.

Gibt es Bereiche in unserem Leben, wo wir aufgehört haben zu beten, weil wir keine Gebetserhörungen erlebt haben? Wenn wir diese Erfahrungen verdrängen, werden sie unser Gebetsleben belasten; sie werden bewirken, dass wir weniger beten.

Gibt es Gebete, die nicht erhört werden? Eine schwierige Frage, die ich zurzeit so für mich beantworte: Gott hört immer, Gebete kommen immer bei Gott an.

Warum sollte Gott nicht hören? Warum sollte er nicht antworten? Aber wann er antwortet und was er antwortet, ist seine Sache! Tempo und Inhalt bestimmt er, weil er besser weiß, welcher Zeitpunkt und welcher Umstand für uns gut ist. Können wir ihm darin vertrauen?

 

Wie ist das mit dem Tempo?

Ein häufiger Fehler ist, dass wir Gott unsere Zeitvorstellungen vorgeben und dann zu früh aufgeben. In unserer Instant-Gesellschaft muss immer alles ganz schnell gehen. Doch Gott schickt uns vielleicht eine Schildkröte auf den Weg, keine Rakete! Gott trägt keine Armbanduhr! Gebet bedeutet nicht, dass wir etwas in einen Automat stecken, sondern dass wir in eine Beziehung treten. Gott möchte uns seine Gedanken und seine Antwort offenbaren, wenn wir uns ihm anvertrauen.

Fragen wir uns ehrlich: Geht es uns um das „ernstliche Gebet des Gerechten“ (Jak 8,16b), das viel vermag, oder schicken wir nur einen Brief, der schnell beantwortet werden soll? Wenn wir auf die Raketen fixiert sind, bemerken wir die Schildkröten gar nicht, wenn sie ankommen. Vielleicht haben sich in unserem „Gebetsgarten“ schon viele Schildkröten angesammelt, die wir gar nicht bemerkt haben.

Lassen Sie mich ein Beispiel erzählen: Es gab eine KFZ-Werkstatt, die zwei Brüdern – zwei ziemlich rauen Gesellen – gehörte. Als eine Frau ihnen von Jesus erzählte, machten sie sich darüber lustig. Aber immer, wenn diese Frau auf ihrem Weg zur Arbeit an dieser Werkstatt vorbei kam, segnete sie im Gebet diese beiden Männer – mehr als 10 Jahre lang. Vor acht Jahren hat sie damit aufgehört, weil sie in der Gegend nichts mehr zu tun hatte.

Letzten Sommer besuchte sie die Tauffeier von einem Bekannten, und sie fiel aus allen Wolken, als ihr plötzlich der Werkstattbesitzer in Taufkleidern entgegenkam, und dann erzählte er auch noch, dass sein Bruder ebenfalls Christ geworden sei. Gott hört, aber nach seinem Zeitplan! Er kennt den richtigen Zeitpunkt.

 

Wie ist das mit dem Inhalt unserer Gebete?

Wir müssen lernen, mit ganzer Kraft im Gebet für Gottes Willen einzutreten. Es ist ja nicht so, dass wir nicht wissen könnten, was Gottes Wille ist. In der Bibel finden wir viele Hinweise auf Gottes Willen, aber auch im hörenden Gebet und im Gespräch mit anderen Christen können wir herausfinden, was Gott in einer konkreten Situation von uns will – mal genauer, mal weniger genau. Als Jesus kurz vor seiner Kreuzigung betete, „dein Wille geschehe“ (Mt 26,42), kannte er Gottes Willen genau, und er willigte in diesen ein. Auch wir sollten Gottes Willen kennen, wenn wir beten.

Es geht um zwei Grundhaltungen: Ganz konkret zu beten, und das mit unserer ganzen Existenz – ernsthaft. Anschließend müssen wir seine Antwort – vertrauensvoll – so annehmen, wie Gott sie im Einzelnen gibt. Leider neigen wir zu Extremen: Entweder hören wir auf zu beten, weil wir meinen, Gott tut ja sowieso das, was er will. Oder wir „vergessen“ bzw. verdrängen es, wenn Gott uns nicht zu erhören scheint. Es geht hier nicht um eine billige Vertröstung, sondern darum, „mit Gott zu ringen“ und ihn näher kennenzulernen in seiner Liebe und Weisheit. Es geht auch um eine Entschlossenheit im Gebet und um Vertrauen Gott gegenüber.

Wenn wir dran bleiben und genau beobachten, werden wir oft verstehen, warum Gott auf seine Weise auf unser Gebet reagiert hat und nicht anders. Ein Beispiel: Vor mehreren Jahren wollten wir ein bestimmtes Haus kaufen. Die Besitzerin hätte es gern für einen sehr günstigen Preis an uns verkauft, aber sie hatte das Haus bereits einem Immobilienmakler übergeben. Sie setzte ihm eine Frist, und wir beteten, dass er das Haus nicht verkaufen könnte. Am letzten Tag der Frist gelang es ihm doch noch, es jemandem „anzudrehen“! Wir konnten das Haus allerdings vom neuen Besitzer mieten, und im Laufe der Zeit entdeckten wir so viele Mängel daran, dass wir im Nachhinein froh waren, dass Gott uns davor bewahrt hatte, dieses Haus zu kaufen.

 

Noch ein Gedanke: Wir hätten gerne die komplette Antwort, aber oft gibt Gott einen Anfang, und dann ist es unsere Aufgabe, weiterzugehen.

Ich stelle mir das so vor: Angenommen, wir brauchen dringend eine neue Wohnung und  beten dafür am Samstagabend. Erwarten wir nicht, dass sich am Sonntagmorgen im Gottesdienst jemand neben mich setzt und mich am Ende fragt, ob ich nicht jemand wüsste, der eine Wohnung sucht? Manchmal kann es wirklich so sein. Aber könnte die Gebetserhörung nicht auch so aussehen, dass ich zunächst die nächste Woche über die Wohnungsanzeigen in meiner Tageszeitung durchblättere, aber kein passendes Angebot finde? Am Freitag treffe ich nach Jahren einen alten Schulfreund. Gerade als wir auseinander gehen wollen, fällt mir ein, ihn zu fragen, ob er nicht eine neue Wohnung wüsste. Und tatsächlich, nach einigem Überlegen, kann er mir die Adresse eines Freundes geben, der gerade ausziehen will. Diesen Freund kann ich aber telefonisch nicht erreichen. Als ich schon aufgeben will, bete ich wieder, dann klappt es endlich. Die Wohnung würde mir gefallen. Aber der Vermieter habe schon mehrere Bewerber, sagt der Freund, usw. – Gott gibt einen Anfang und manchmal alles. Und er gibt dazu, dass wir ihn besser kennenlernen und auch uns selbst.

Wir sollten unseren Frieden schließen über so genannte un-erhörte Gebete, die uns davon abhalten, weiter zu beten; wir können Gott um Vergebung bitten für unseren Groll und ihm unser Vertrauen aussprechen in dieser Sache oder zumindest um Vertrauen bitten, dort, wo wir wirklich keine Antwort wahrnehmen können.

 

Lügen über das Gebet

Unsere Geschichte mit dem Gebet hat schon sehr früh begonnen, meistens schon, bevor wir überhaupt Christen waren. Es wurden Lügen über das Gebet in unsere Herzen hineingepflanzt. Ich möchte drei dieser weit verbreiteten Lügen nennen, die in vielen unserer Köpfe stecken:

 

1. „Hilft dir selbst, dann hilft dir Gott!“

Was sagt dies eigentlich aus? Es besagt, Gebet sei eine Fluchtreaktion, der eigenen Anstrengung oder dem eigenen Versagen auszuweichen. Sicher ist dies eine Gefahr. Es geht aber gar nicht um die Alternative: beten oder handeln. Vielmehr sollen wir beides tun: Beten und handeln. Ohne Gott können wir sowieso nichts tun (Joh 15,5). Die eigentliche Frucht in unserem Leben, die bleibt, entsteht dort, wo wir aus dem Gebet heraus leben. Es geht darum, aus dem Gebet heraus die nächsten Schritte zu finden und zu gehen. Und dann wieder zu beten. Dies ist der Weg des Fruchtbringens, den ich lernen möchte.

 

2. „Beten ist Frauensache!“

Was Frauensache ist, das wollen wir Männer ja nicht – und auch die Frauen inzwischen nicht mehr. Was bedeutet die Aussage, beten sei Frauensache? Sie besagt, Gebet sei eine Schwäche, Gebet sei etwas für Schwache. – Wo wären wir ohne die Gebete der Frauen!

 

Übrigens: Es stimmt, dass wir schwach sind; wir brauchen Gott. Es ist besser, diese Schwäche zuzugeben und zu beten und aus dem Gebet heraus zu handeln als aus einer vermeintlichen Stärke heraus ohne Gott zu handeln. Ich möchte ohne Gebet nichts tun – zumindest nichts ohne Beziehung zu Gott.

 

3. „Not lehrt beten.“

Auch in diesem – oft zutreffenden – Satz ist eine falsche Botschaft versteckt: Ein Leben ohne Not bräuchte kein Gebet. Wir kennen das aus eigener Erfahrung: Wenn es uns gut geht, beten wir weniger. Aber es geht ja um Gemeinschaft mit Gott, und er will auch dann Gemeinschaft mit uns haben, wenn es uns gut geht. Außerdem könnte es uns ja noch besser gehen, die Dinge besser gelingen, oder wir könnten weniger Schaden anrichten.

 

Wagen Sie einen Neuanfang!

Wie gehen wir mit solchen Enttäuschungen und Lügen um? Stellen Sie sich folgende zwei Fragen:

 

1. Gibt es Lebensbereiche, die ich für das Gebet gesperrt habe, weil ich enttäuscht bin?  Wagen Sie – heute noch – einen Neuanfang!

2. Kenne ich solche Lügen wie oben beschrieben (oder andere), beherrschen sie mein Herz?

Wenn ja, dann sollten Sie ganz bewusst sagen: „Das ist nicht die Wahrheit!“ Treten Sie heraus aus der Unfreiheit, in die solche Lügen Sie gebracht haben. Sie sollten sich von der Lüge trennen und für die Wahrheit entscheiden. Dann wird sich Ihr Gebetsleben ändern. – „Vater, stärke den Glauben in uns, dass du hörst und antwortest!“

 

Werner May