Marsch des Lebens am Pfingstmontag

„Für Israel und ein unüberhörbares „Nie wieder!“ – Gegen den Antisemitismus unserer Zeit“ demonstrierten am Pfingstmontag 2014 mehrere hundert Menschen in Paderborn/Wewelsburg.
Der Marsch des Lebens begann um 10 Uhr am Appellplatz des ehemaligen KZ Niederhagen. Zum Auftakt wurden die Teilnehmer, die teilweise stundenlange Anreisen hinter sich hatten, von Schirmherr und Landrat Manfred Müller begrüßt. Nach seiner Ansprache hatten auch einige Zeitzeugen die Gelegenheit, von ihren Erlebnissen zu erzählen. Stellvertretend sei hier das Lebenszeugnis von Pnina Kaufmann genannt, das viele Zuhörer berührt hat:
1946 in Polen geboren, wurde Pnina von Gleichaltrigen ständig ausgegrenzt und als „dreckige Jüdin“ beschimpft. Ihre Eltern hatten das KZ überlebt und obwohl ihr Vater den jüdischen Glauben aufgegeben hatte und kommunistisch geworden war, ersparte das Pnina nicht die Diskriminierung. Als der Vater dann auf offener Straße zusammengeschlagen wurde, entschied ihre Mutter, dass sie als Familie nur eine Zukunft in Israel hatten. So wanderten sie aus.

Auf dem Weg der Versöhnung

Als Pnina 7 Jahre alt war, fühlte sie sich zum ersten Mal als Mensch akzeptiert und angenommen. Trotzdem hatte sie aufgrund der vielen Wunden und Verletzungen ihrer Eltern keine leichte Kindheit. Sie beschreibt ihr Elternhaus als „KZ ohne Stacheldraht“. Die Angst, mit der ihre Eltern lebten, engte sie alle ein.

Ihre Eltern traf fast der Schlag, als sich Pnina viele Jahre später in einen deutschen jungen Mann verliebte und die beiden dann auch heirateten und als ihren gemeinsamen Wohnsitz Deutschland wählten. Es brauchte sehr lange Zeit, bis die Eltern sich mit dieser unglaublichen Situation, dass ihr Schwiegersohn aus dem „Land der Mörder“ kommt, abfinden konnten. Und es brauchte wiederum einige Zeit, bis sie sich mit Deutschland versöhnt hatten.
Pnina Kaufmann hat es sich heute zur Aufgabe gemacht, junge Deutsche mit jungen Israelis bekanntzumachen, um hier Brücken zu bauen und ihr Zeugnis weiterzugeben.

Gegen Mittag ging es mit Israel- und Deutschland-Flaggen Richtung Wewelsburg, ein 15-minütiger Fußmarsch. Dort wurde die Geschichte des Ortes erzählt, an dem auch Himmler (NSDAP) seit der Übernahme der Wewelsburg wichtige SS Treffen abgehalten hatte.

Der zweite Teil

Die Demonstranten marschierten 14 Kilometer bis nach Paderborn. Um 15 Uhr sprach der zweite Schirmherr, Bürgermeister Heinz Paus, zu den Versammelten am Rathaus. Weitere Sprecher brachen das Schweigen über die Schuld ihrer Vorfahren und baten an der Täter statt um Entschuldigung.
Bei einer erfrischenden Pause mit kaltem Buffet und Getränken fühlten sich die Teilnehmer wie Gäste der Stadt und konnten sich von der Mittagshitze erholen. Vom Rathaus aus bewegte sich die Menge zu verschiedenen Holocaust Gedenkstätten, u.a. wurde an der alten Synagoge angehalten, die 1938 Opfer der Reichspogromnacht geworden war. Weitere interessante Stationen waren:

  • Jüdisches Kinderheim (die Kinder sind alle verschollen)
  • Jüdisches Geschäftshaus (der Besitzer war enteignet worden)

Das Leben feiern

Zurück im Paderborner Rathaus gab es die Gelegenheit, bei Live-Musik und israelischen Tänzen die jüdische Kultur zu erleben. Die Teilnehmer konnten sich über die Erlebnisse des Tages austauschen und Kontakte knüpfen zu anderen Freunden Israels. Mit dem „Fest des Lebens“ klang der offizielle Teil des Marsch des Lebens in Paderborn aus.

Eine besondere Herausforderung: Die Todesmärsche von 1944/45

Anstoß für ein gemeinsames Projekt mit Christen an der Seite Israels sind die qualvollen Todesmärsche kurz vor dem Untergang des Nazi Regimes. Viele KZ Insassen, die zuvor die Zeit im Lager überlebt hatten, liefen sich auf den Straßen Deutschlands zu Tode, als man das Kriegsende nicht akzeptieren wollte. Nicht vielen ist diese Tatsache bekannt. Über 100 Routen der Märsche des Lebens sollen über die Routen dieser Todesmärsche führen – eine deutliche Botschaft.
Und genau das ist der Wunde Punkt, auf den die Veranstalter der Märsche des Lebens, die Freunde Israels OWL mit Jobst Bittner aufmerksam machen wollen. In dessen Buch „Die Decke des Schweigens“ beschäftigt sich Bittner mit den Problemen der Gesellschaft im Umgang mit den Spätfolgen des zweiten Weltkriegs.
„Steckt das Schweigen der Kriegsgeneration zum Holocaust immer noch in unseren Knochen? Etliche Personen des öffentlichen Lebens setzen sich plötzlich intensiv mit ihrer persönlichen Familiengeschichte auseinander. Ständig erscheinen neue wissenschaftliche Erkenntnisse über die Spätfolgen der Traumata der Kriegsgeneration. Das betrifft uns persönlich, unsere Familie, Kirchen und Gemeinden sowie Städte und Nationen.“ (Jobst Bittner)
Der Marsch des Lebens am Pfingstmontag hat einmal mehr gezeigt, dass sich sowohl Politiker als auch Gesellschaft insgesamt mit dem Thema beschäftigen sollten, um die Vergangenheit aufzuarbeiten und gemeinsam eine Zukunft zu bauen. „Es gibt keine kollektive Schuld, aber eine kollektive Verantwortung“ (Pnina Kaufmann) – nach dieser Devise werden weiterhin Märsche des Lebens weltweit stattfinden.
[divider_thin]
Quellen u.a.: http://www.marschdeslebens.org/
Mehr zum Projekt mit Christen an der Seite Israels: http://www.israelaktuell.de/index.php/component/content/article/50-topnews/301-maersche-des-lebens-zu-70-jahrestagen-von-holocaust-ereignissen
Foto zur Verfügung gestellt von: G. Umfahrer