Zum Jahreswechsel 2009/2010

Die vergangenen Tage haben meine Frau und ich in Dresden an der Elbe verbracht. Was uns dort hin zog, war allerdings weder die Elbe noch der älteste Weihnachtsmarkt Deutschlands – so nett und liebevoll die einzelnen Häuschen des sog. Striezelmarktes auch hergerichtet sind – , auch nicht die überall aufwartenden kulinarischen Genüsse, sondern vor allem die Dresdner Bläserweihnacht in der wieder aufgebauten Frauenkirche.

GEISTLICHE UND WELTLICHE BLASMUSIK

Blechbläsermusik vermochte festlichen Anlässen wie auch dem Weihnachtsfest schon in früheren Zeiten musikalischen Glanz zu verleihen. Über Jahrhunderte spielten Musiker auf Türmen, an Fürstenhöfen, in Ratssälen und auf Kirchenemporen. In vielen Kirchgemeinden sind im letzten und vorletzten Jahrhundert „Posaunenchöre“ entstanden.

Das Zusammenspiel mehrerer Blechbläser wird uns schon im Alten Testament beschrieben. Außer bei Kriegen finden wir es im Mittelalter und der Neuzeit in der „Turmbläserei“, dann auch bei den „Stadtpfeifern“ und „Ratsmusikern“. Ihr Repertoire beinhaltete nicht nur Fanfaren-Signale und „Turmsonaten“, sondern auch geistliche Lieder. Im Jahre 1700 schrieb der in die Musik- und Literaturwelt eingegangene Johann Kuhnau in einem Weihnachtsbrief: „Wenn unsere Stadt-Pfeiffer etwa zur Fest-Zeit ein geistliches Lied mit lauter Trombonen vom Thurme blasen, so werden wir über alle Maßen bewegt und bilden uns ein, als hören wir die Engel singen.“

DIE DRESDNER BLÄSERWEIHNACHT

Schon vor der Frauenkirche stimmt uns ein osteuropäischer Trompeter auf den Abend ein. Wir hören ihn, noch während wir in der Schlange stehen. Ob wir tatsächlich bis 30 Minuten vor Beginn zur Kasse vordringen, um unsere reservierten Tickets abzuholen? Schließlich eine Ansage: „Alle Karten ausverkauft!“ Vor uns zeigt eine Dame die schriftliche Reservierung durch eine Agentur vor. Vier Monate lang habe sie den Brief wie ein Heiligtum gehütet, sagt sie. Einziger Makel: ihr Ticket ist nicht dabei. Als wir abgefertigt sind, ist ihr Problem immer noch nicht gelöst.

Wir betreten das Kirchenschiff der 2005 wieder eröffneten Frauenkirche. Der große Bombenangriff am 13. Februar 1945 hatte auch sie nicht verschont. Verdient gemacht um den Wiederaufbau hat sich besonders Prof. Ludwig Güttler, ein weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt gewordener Trompeter, der bereits 1978 das „Blechbläserensemble Ludwig Güttler Dresden“ gründete. In etwa 110 Konzerten pro Jahr ist der inzwischen 66-Jährige engagiert.

Die Plätze in der Frauenkirche sind nummeriert. Jeder Platz trägt den Namen seines Spenders. Links von uns sitzt ein Herr, der mit seiner Frau aus Thüringen gekommen ist – „nur 2 ½ Stunden Autofahrt“ – und nach dem Konzert (wie jedes Jahr) wieder nach Hause fährt. Heute sitzt er jedoch nicht auf dem Platz, den er gespendet hat. Rechts von uns ein Ehepaar aus Nordrhein-Westfalen. Sie sind gleich für eine ganze Woche nach Dresden gekommen. Bis in die gewaltige Kuppel reichen die Kirchenemporen – und von überall blicken erwartungsvolle Gesichter auf die 12 Musiker, die kurz nach 20 Uhr mit einem „Marsch für zwei Bläserchöre und Pauken“ den Abend eröffnen.

Advents- und Weihnachtslieder folgen (in kunstvollen Bearbeitungen alter Meister) sowie teils doppelchörige Bläserstücke bis hin zur Suite aus Händels „Wassermusik“. In den Arrangements scheint Güttlers Handschrift unverkennbar: ein ständiges Wechseln der Bläsergruppen erlaubt es den Musikern, das 1½- stündige Programm zu bewältigen – besonders für die Trompeter eine große Herausforderung. Und die Musik fließt – ohne große Atempausen, ohne größere Zäsuren – als sei sie für unsere schnelllebige Zeit geschrieben. Zuhörer, denen die Texte der Advents- und Weihnachtslieder (noch) vertraut sind, können eine Botschaft mit dem heroischen Klang des fast perfektionistisch wirkenden Ensembles verbinden.

Nach dem zweiten Teil der lang anhaltende Applaus. Ludwig Güttler reicht jedem Musiker die Hand. Mehrmals verbeugen sich die weltbekannten Künstler. Doch als der Applaus nicht nachlässt, stimmt Prof. Güttler mit seinen 11 Kollegen ein Lied an, das für mich zum Höhepunkt des Abends werden sollte:

„Herbei, o ihr Gläubigen, fröhlich triumphierend,

o kommet, o kommet nach Bethlehem!

Sehet das Kindlein, uns zum Heil geboren!

0 lasset uns anbeten, o lasset uns anbeten,

o lasset uns anbeten den König!“

– Jetzt stand JESUS im Mittelpunkt.

GEGENSÄTZE

Während meine Gefühle noch von der Dresdner Bläserweihnacht und all dem, was die sächsische Landeshauptstadt zu bieten hat, berauscht sind, gehen meine Gedanken zurück. Zurück zu der Zeit, als wir in spartanischen DDR-Restaurants geduldig auf unser Essen warteten und mein Amtskollege es nicht wagte, die schon abgekühlten Kartoffeln zu monieren. Zurück zu der Zeit, als wir auf unseren DDR-Besuchen vor der deutsch-deutschen Grenze ins Schwitzen kamen – trotz Gebet und Glaubensproklamationen – weil wir „verbotene Ware“ mitführten: Charisma-Zeitschriften, christliche Literatur, Tonbandkassetten mit geistlichen Botschaften sowie Lobpreis- und Anbetungsliedern. Und auf der Rückreise Adressen von lieben Menschen, die mit uns in Kontakt bleiben wollten.

Wie sich das Bild gewandelt hat! Wir können nur danken! Doch hier und da scheint es mir schon fast etwas zu viel des Guten: In diesem Ballungszentrum staatlicher Macht, kapitalistischen Kommerzes, kulturellen Schaffens, religiöser Vielfalt, emsigen Treibens erinnern mich die vielerorts strahlenden „Herrnhuter Sterne“ daran, dass unsere Reise nach Dresden nur Zwischenstation ist.

EIN VORORT DES HIMMELS

Im überfüllten Regionalexpress fahren wir weiter nach Herrnhut. Das heißt, nach Herrnhut fährt überhaupt kein Zug. Als sei es von dieser Welt, aus der wir gerade kommen, abgeschnitten. Doch ein lieber Freund holt uns von der ca. 12 km entlegenen Bahnstation ab. Unser Quartier ist über dem „Archiv der charismatischen Erneuerung“, das wir vor drei Jahren hierher verlegten und seitdem mit Hilfe des Christlichen Zentrums Herrnhut, Jugend mit einer Mission und Archivar Dr. theol. Dietrich Meyer auf- bzw. ausbauen.

Von Herrnhut aus geht also seit Jahrhunderten der „Herrnhuter Stern“. Von Herrnhut aus gehen auch die jährlichen Losungen in alle Welt. Von Herrnhut aus ist eine Gebets- und Missionsbewegung entstanden, die bis heue viele christliche Kreise (auch pfingstlich-charismatischer Prägung) inspiriert. In Herrnhut möchten wir zur Ruhe kommen – das alte Jahr dankend reflektieren, das neue Jahr vor Gott ausbreiten, seine Hand ergreifen und mit ihm den Schritt ins neue Jahrzehnt wagen. Und das wünsche ich auch Ihnen.

Gerhard Bially

P.S. Mehr über Herrnhut – und besonders wie ein Krankenhaus zum Jesus-Haus wurde – erfahren Sie in der nächsten Charisma-Printausgabe, die am 20. März 2010 erscheint.