Zunehmendes Forschungsinteresse an Pfingstbewegung

„Heilung ihrer Nation“ – das sei der Wunsch vieler pfingstlich-charismatischer Christen in den Ländern Lateinamerikas, betonte der Bielefelder Theologe und Soziologe Prof. Dr. Heinrich Schäfer auf einer Fachtagung der Missionsakademie Hamburg. Mit ausdrücklicher Unterstützung ihrer Kirchenleitung beschäftigt sich die evangelische Missionsakademie verstärkt mit der rasanten weltweiten Ausbreitung pfingstlich-charismatischen Christentums. So stand die Tagung am 27. und 28. April 2009 unter dem Forschungsschwerpunkt „Pfingstbewegung in Transformation“.

Dr. Daniel Chiquete, von Hause aus mexikanischer Pfingstler, zur Zeit einer der vier Studienleiter der Hamburger Missionsakademie, führte die Teilnehmer in die Entstehung und Entwicklung der Pfingstbewegung in Südamerika ein. (Für die Herbstausgabe von Charisma hat er einen Artikel zu diesem Thema zugesagt.)

Über ihre Forschungen im afrikanischen Kontext berichteten Jörg Haustein (speziell Äthiopien), Brighton Katabaro (Tansania, und hier besonders die „Full Gospel Bible Fellowship Church“) und Werner Kahl (über die „Charismatisierung“ des Christentums in Ghana).

– Jörg Haustein ist wissenschaftlicher Assistent bei Prof. Bergunder (missionswissenschaftl. Abt. der theol. Fakultät der Uni Heidelberg) und hat sich besonders mit der Internetplattform des von ihm mitinitiierten Interdisziplinären Arbeitskreises Pfingstbewegung (www. glopent.net/iak-pfingstbewegung) verdient gemacht.

– Brighton Katabaro, lutherischer Pfarrer aus Tansania, der gerade seine Dissertation an der Hamburger Universität eingereicht hat, nannte einige Gründe, warum Lutheraner in Tansania zu den Pfingstlern überwechseln:

Pfingstliche Charakteristika:
– klare biblische Lehre, z. B. im Hinblick auf Bekehrung/Wiedergeburt;
– Praktizieren der Wassertaufe als äußeres Zeichen der Bekehrung (vs. Säuglingstaufe);
– Gebet mit Menschen um die Befreiung von dämonischen Mächten;
– Glaube an göttliche Heilung und Praktizieren des Heilungsgebets unter Handauflegung;
– Frauen und Jugendliche können ebenso wie Männer durch den Heiligen Geist bevollmächtigt werden, Zeugen Jesu zu sein und
„mitfolgende Zeichen“ zu erleben.

– Privatdozent Dr. Werner Kahl, vor Kurzem erst mit einer Studiengruppe aus Ghana zurückgekehrt, weiß zu berichten, dass sich bereits morgens ab 4.30 Uhr Hunderte von Studierenden vor der staatlichen Universität zum Gebet treffen, oft dabei auf den Boden stampfen, um zu verdeutlichen, dass Satan unter ihren Füßen ist und Gott ihnen den Sieg und Segen an diesem Tag geben wird. Spät abends treffen sie sich wieder und danken dem Herrn für den verflossenen Tag. – Am traditionellen Trinity-Seminar macht Kahl etwa ein Drittel Pfingstler aus. Der Hamburger Theologe (lehrt NT an der Uni HH) sieht eine zunehmende „Charismatisierung“ des Christentums in Ghana.

Paradies Europa
Mit dem Titel des Filmes der aus Nigeria stammenden Regisseurin Joana Adesuwas Reiterer, mit dem sie Migranten auf Europa vorbereitet, verdichtete Dr. Moritz Fischer die globale Perspektive der Fachtagungsteilnehmer auf die europäische pfingstlich-charismatische Szene. In Europa leben nach gängigen Statistiken drei Millionen Afrikaner. Ca. 50% davon seien Christen – so Fischer. Die meisten dieser 50% wiederum pfingstlich-charismatisch geprägt. Fischer wörtlich: „Die Pfingstbewegung in Europa ist in ihrer zunehmenden internationalen Ausprägung ein transformativer, transkultureller Katalysator für das Hervorbringen und die Erfüllung religiöser Bedürfnisse.“

Dass bei Migration nicht nur die politische und ökonomische Sphäre ausschlaggebend ist, sondern eine geistliche mit bedacht werden muss, davon ging Frau Dr. Friede Youmba-Batana (Universität Bielefeld) aus. In den letzten Jahren beschäftigt sich die afrikanische Soziologin vermehrt mit der Erforschung ihrer eigenen Denomination: der Pfingstbewegung. Ihr ist es ein Anliegen, wissenschaftliche Erkenntnisse und gemeindliche sowie persönliche religiöse Erfahrung füreinander fruchtbar zu machen.

Über Migrationsgemeinden im Verhältnis zur evangelischen Kirche Deutschlands sprach abschließend Gastgeber Werner Kahl. Als afrikanische Gruppen bei evangelischen Kirchengemeinden anfragten, ob sie sich in ihren Räumlichkeiten versammeln dürften, erzeugte das zuerst große Unsicherheit. Man kannte diese Gruppen nicht und holte sich Rat bei den „Sektenbeauftragten“ der Kirche. Diese reagierten oft zurückhaltend, wenn nicht sogar warnend – und versahen die afrikanischen Gruppen teilweise mit dem „Sektenprädikat“.

Seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre haben, so Kahle, mainline-churches in Afrika Pastoren/Missionare nach Deutschland ausgesandt, um hier ihre verstreuten Gemeindeglieder zu sammeln und zu betreuen. Inzwischen reagierte die EKD entspannter auf Anfragen afrikanischer Pastoren zwecks Raumnutzung. Doch vereinbarte man eine Kostenbeteiligung. Erst später wurde den Verantwortlichen bewusst, dass viele der afrikanischen Christen sich in Deutschland als „evangelisch“ bezeichnen und bereits Kirchensteuer abführen, nun jedoch ein zweites Mal zur Kasse gebeten wurden.

Ein interessanter Vergleich zum Schluss: Die 130 evangelischen Kirchengemeinden im Raum Hamburg werden sonntäglich nach Kahles Schätzung von etwa 2.500 Personen besucht. Die 70–80 afrikanischen Migrationsgemeinden in Hamburg weisen etwa die gleiche Besucherzahl auf.

Bei der Auswertung der Hamburger Fachtagung war man sich einig, dass die Erforschung der weltweiten Pfingstbewegung weiter intensiviert werden soll. Neben den streng wissenschaftlichen Tagungen des Interdisziplinären Arbeitskreises Pfingstbewegung (Uni Heidelberg) will die Hamburger Missionsakademie auch pfingstliche Gemeinden sowie die Charismatische Erneuerung in Deutschland stärker einbeziehen.

Gerhard Bially
(Herausgeber der Zeitschrift Charisma – come Holy Spirit)