Was ist das – apostolisch?

Jahrestagung des Netzwerks Apostolischer Geschichte

Ende September feierte eine unabhängige Forschergruppe im Bereich der apostolischen Kirchengeschichte ein kleines Jubiläum in Brockhagen bei Bielefeld: das Netzwerk Apostolischer Geschichte – seit nunmehr fünf Jahren aktiv.

Entfremdete Brüder treffen sich, um Historie aufzuarbeiten

Es ist hier nicht der Ort, die Gesamtgeschichte dieser Konfessionsgruppe nachzuzeichnen. Zumal recht unterschiedliche Interpretationen davon existieren. Das bemerkten auch einige (besonders jüngere) Mitglieder dieser Gemeinden. Und es war ihnen nicht egal. Miteinander wollten sie ihr gemeinsames Erbe erforschen, auch wenn auf Leitungsebene (und wahrscheinlich nicht nur da) noch starke Ressentiments gegeneinander vorherrschen.

Als ich den Untertitel formulierte, schrieb ich zuerst „ … Apostolischer Gemeinden“. Doch so weit ist die Entwicklung noch nicht. Was aber Kirchenleitungen und Gemeindeverbänden noch nicht möglich ist, das geschieht zumindest auf wissenschaftlicher Ebene: Historiker, Theologen und Interessierte aus den sogenannten apostolischen Gemeinschaften finden sich, um ihre gemeinsame (und unterschiedliche) Geschichte aufzuarbeiten.

Apostolische Gemeinschaften?

Was versteht man hier unter „apostolische Gemeinschaften“? Nicht etwa die Apostolic Faith Mission, die John G. Lake Anfang des 20. Jahrhunderts in Südafrika gründete (heute 1,2 Mio. Anhänger), auch nicht die in der walisischen Erweckung von 1904 verwurzelte Apostolische Kirche – Urchristliche Mission (http://www.apostolische-kirche.de/index.php?page=269) noch die vielen anderen Pfingstkirchen und -gemeinden, die sich bereits in ihrem Namen auf die Urkirche und das apostolische Zeitalter beziehen möchten. Gemeint ist hier eine Abteilung der Christenheit, wenn ich so sagen darf, die auf erweckliche, charismatische Aufbrüche im Umfeld von Pastor Edward Irving (um das Jahr 1830) zurückzuführen ist.

Vorläufer des pfingstlich-charismatischen Aufbruchs?

Irving – ein vielseitiger Wissenschaftler und Theologe, als Pfarrer der Church of Scotland in London tätig – predigte offensichtlich mit solchem Enthusiasmus und Engagement (besonders gern über endzeitliche Themen), dass ihm 2.000 Zuhörer/innen zugeschrieben werden. Doch nachdem er erkannt hatte, dass die Gaben des Heiligen Geistes nicht nur im Verborgenen beziehungsweise in kleinen Kreisen, sondern im öffentlichen Gottesdienst (und zwar nicht nur vom Klerus) praktiziert werden sollten, erhielt er von seiner Kirche Kanzelverbot. Hunderte seiner bisherigen Gottesdienstbesucher folgten ihm zur Newman Street Church. Diese wurde ein neues Zuhause für alle, die „(1) erfahren hatten, dass die Taufe im Heiligen Geist eine Bevollmächtigung darstellt, die von der Bekehrung zu unterscheiden ist; (2) die Ausübung geistlicher Gaben [1Kor 12,8–10] im öffentlichen Gottesdienst unterstützten und (3) die Wiederherstellung der apostolischen Autorität akzeptierten“ (D. W. Dorries, Catholic Apostolic Church, in: The New International Dictionary of Pentecostal und Charismatic Movements, Grand Rapids 2002, S. 459).

Daraus entwickelten sich die katholisch-apostolischen Gemeinden mit ihren späteren Abzweigungen. Heute wird Irvings Einfluss darauf allerdings gern marginalisiert, wie auch der folgende Wikipedia-Beitrag zur „Konfessionsgruppe der apostolischen Gemeinschaften“ zeigt.

Zwischen Anglokatholizismus und Erweckungsbewegung

„Aus ihrer Gründungshistorie ist diese Konfessionsgruppe ein Mittelweg zwischen römisch-katholischer Kirche und Protestantismus, da stark von den Anglikanern beeinflusst. In ihrer Entstehungszeit prägten sowohl Anglokatholizismus als auch Erweckungsbewegung ihr Gesicht. Bezugnehmend auf einen ihrer frühen Vertreter, Edward Irving, wurde und wird die Konfessionsgruppe der apostolischen Gemeinschaften manchmal und fälschlicherweise auch als Irvingianer bezeichnet. Auch in anderen Sprachen wie dem Englischen oder Französischen (Irvingites) ist dies der Fall.“

Wikipedia unterteilt die Konfessionsgruppe der Apostolischen in Katholisch-apostolische Gemeinschaften, Apostolische Gemeinschaften des erneuerten Apostolats und Neuapostolische Gemeinschaften.

„Vereinfacht gesagt geht es den hier zusammengefassten Kirchen um den (wiedererweckten) apostolischen Dienst bzw. das Amt und ein Modell der urchristlichen Gemeinde mit dem Anspruch, dieses als ökumenisches Modell der Christenheit anzubieten. Konstituierendes Merkmal aller apostolischen Gruppen ist das Apostelamt als leitendes Lehramt. Aufgrund der inzwischen über 180-jährigen Geschichte dieser Kirchen gibt es heute unterschiedliche Schwerpunkte und Glaubens- und Lehrentwicklungen.“

Die katholisch-apostolischen Kirchen

Das Besondere an diesem charismatischen Aufbruch (der ja nicht der erste seit dem apostolischen Zeitalter war) zeigt sich in der Naherwartung, verbunden mit der Vorstellung, dass wie am Anfang zwölf Apostel die Gemeinde begründeten und ausbreiteten, jetzt wiederum zwölf Apostel zur Vollendung beitragen und die Braut Christi ihrem Bräutigam entgegenbringen. Diese Apostel sollten weder gewählt noch etwa selbsternannt sein, sondern von dem Herrn Jesus selbst durch Propheten in ihr Amt gerufen werden. Tatsächlich geschah dies zwischen 1832 und 1835. Sieben Propheten waren es, die sich dann mit den ausgesonderten Aposteln für ein Jahr zurückzogen, um vom Herrn und Erzhirten der Gemeinde zu hören, wie diese neue Bewegung geformt und geleitet werden soll. In dieser Zeit teilten sie nach entsprechenden Worten der Weissagung die Christenheit in 12 Gebiete ein – jeder Apostel sollte für ein Ländergebiet zuständig sein. Die Apostel bereisten die ihnen zugewiesenen Länder, um die Lage der dortigen Christenheit kennenzulernen und die Vision von der Vollendung der Gemeinde Jesu Christi mit ihnen zu teilen.

In Deutschland war man für das Gedankengut dieser Restaurationsbewegung interessanterweise am empfänglichsten. Hier entstanden blühende Gemeinden (z.B. in Marburg, Berlin, Erfurt, Dresden, Stettin, Königsberg i. Pr., Liegnitz, Hamburg, Stuttgart und Ausgsburg). Doch andererseits erwiesen einzelne der deutschen Kollegen sich bald als problematisch. Wollten sie doch nicht einsehen, dass Apostel nur aus England kommen und die Zwölferzahl nicht ergänzt werden sollte, nachdem sich mehrere Apostel zurückgezogen hatten oder sogar schon gestorben waren. Damit schien eine Spaltung vorprogrammiert zu sein: Es entstanden …

Apostolische Gemeinschaften des erneuerten Apostolats.

Genau darum ging es in dem ersten Vortrag auf der Jubiläumstagung des apostolischen Netzwerks: diesen Übergang und die Entwicklung in Deutschland und Holland zu schildern und zu analysieren. Dabei zeichnete der Referent Dietmar Pohl besonders Leben und Dienst von Heinrich Geyer (1818–1896) nach. Als Prophet in der katholisch-apostolischen Gemeinde Berlin, berief er ab 1860 recht eigenständig neue Apostel. 1863 bildete sich unter seiner Leitung in Hamburg die Allgemeine apostolische Mission (AAM), auch Allgemeine christliche apostolische Mission (AcaM) genannt. Sie gilt in der geschichtlichen Entwicklung als Bindeglied zwischen den katholisch-apostolischen Gemeinden und der Neuapostolischen Kirche.

Als zweites Referat schloss sich ein Überblick des Vereinsvorsitzenden Mathias Eberle an, der die Entwicklung der AcaM/AAM und ihrer Nachfolgegruppen von 1878 bis 1957 beleuchtete (siehe http://me1542.de/downloads/2013-av-treffen-acam-geschichte.pdf). In dieser Zeitspanne war wieder ein gewisser Geyer eine herausragende Gestalt – doch diesmal Robert Geyer (Eintritt und jeweils baldige Ämterbekleidung: 1894 Neuapostolische Kirche, 1898 Alt-Apostolische Gemeinde, 1909 AcaM [s.o.]; 1913 Apostel für Amerika, 1925 v. gallikanischem Erzbischof zum Erzbischof konsekriert).

Sehr interessant war auch der Beitrag des Stephanus-Diakons Marco Würgler: „Gotthilf Haug und der Schweizerische Diakonieverein – Versuch einer diakonischen Umsetzung der katholisch-apostolischen Ämter und Ordnungen“. Sowohl ihre ökumenische Kapelle in Nidelbad (http://sdv.nidelbad.ch/texte/kapelle_nidelbad.pdf), in die sie bereits Exponenten der Charismatischen Erneuerung wie Arnold Bittlinger und Kim Kollins ebenso wie messianische Juden eingeladen haben, als auch ihre Stephanus-Diakonie (http://sdv.nidelbad.ch/texte/schweizerischer_diakonieverein.pdf), die sie als ökumenisches Diakonat und zugleich als „Fußwaschungsdienst“ verstehen, sehen sie nicht unter dem Blickwinkel ihres Vereins, sondern in der Weite des Reiches Gottes.

Der verpasste Musikvortrag und die große Überraschung

Als dann der letzte große Vortrag „Entwicklung der Liturgie in der Allgemeinen christlich-apostolischen Mission“ – also ein „musikalisches Thema“, was mich eigentlich besonders interessiert – begann, da merkte ich, wie meine Ohren auf Durchzug schalteten. Früher wäre ich anstandshalber natürlich sitzen geblieben. Doch jetzt gönnte ich mir einen Spaziergang durch Brockhagen – betend, meditierend, lesend, und was heutzutage nicht fehlen darf: telefonierend. Und reflektierend: Noch nie war ich auf solch einem Treffen. Mit den katholisch-apostolischen Gemeinden hatte ich mich immer wieder einmal beschäftigt, mit den Neuapostolischen gar nicht und mit der 1955 in Düsseldorf gegründeten Abspaltung von der Neuapostolischen Kirche, die dann schlicht und einfach unter dem Namen Apostolische Gemeinschaft firmierte, nur sehr wenig. Eins schien mir offensichtlich: die Ämter haben sich in diesen Traditionen stärker erhalten als die Charismen (klingt irgendwie bekannt oder?). So muss es wohl Gott selbst gewesen sein, der Anfang und Mitte des 20. Jahrhunderts dann neue Aufbrüche schenkte: die Pfingstbewegung und die Charismatische Erneuerung. Warum? Weil er doch so gern seine weltweite Gemeinde mit den Gnadengaben des Heiligen Geistes beschenken wollte!

Ob es möglich ist, voneinander zu lernen? Bezeichnet nicht auch der Pionier der lutherischen charismatischen Erneuerung in den USA, Larry Christenson, die oben beschriebenen Aufbrüche im England des 19. Jahrhunderts als Vorläufer der Charismatischen Bewegung? Ob ein gegenseitiges Kennenlernen, Bibelverständnis und Erfahrungen austauschen überhaupt erwünscht ist? Immerhin war ich der einzige pentekostale Vertreter unter allen Tagungsteilnehmern. Und wer hat sich am meisten eingebracht? Die Neuapostolischen. Sie haben die Kapelle mit Nebenräumen dem Netzwerk Apostolische Geschichte für eine symbolische Miete von 1,-Euro pro Monat zur Verfügung gestellt, sie sind es auch, die sich zur Zeit wohl am meisten bewegen: heraus aus der Erstarrung, heraus aus manchen sonderbaren Sonderlehren, heraus aus dem Exklusivitätsdenken, heraus aus einer Überinterpretation ihres Apostelamtes. Ein neuer Katechismus dieses größten Gemeindebundes in Deutschland weckt Hoffnungen (siehe http://www.nak.org/de/katechismus).

Als ich zur Kapelle zurückkehre, traue ich kaum meinen Ohren: Mathias Eberle spielt eines der vier nebeneinanderstehenden, aufeinander abgestimmten Harmoniums. Ob diese musikalische Einlage sich zum Zündfunken entwickelt? Nach dem Abendessen spielt der zweite Vorsitzende Sebastian Müller, dann der Holländer Tjerk Broersma. Einige von uns beginnen, dazu zu singen. Jemand bringt einen Stapel Gesangbücher. Eine ältere Dame setzt sich an ein zweites Harmonium. Ein Heilslied, ein Ewigkeitslied nach dem anderen erklingt – von einst entfremdeten Glaubensgeschwistern. Als dann Tjerk Broersma fragt, ob sein im Sterben liegender Vater über Handy das mithören dürfe, wenn wir gemeinsam „Näher, mein Gott zu Dir“ singen, da spüre ich die Gegenwart Gottes – und ich kann die Tränen nicht mehr zurückhalten.

Ausklang und Vorschau

Ein Diavortrag über einige der frühen katholisch-apostolischen Gemeinden in England lassen den Abend ausklingen (http://www.me1542.de/downloads/2013-av-albury.pdf). Zum 2014-Treffen haben die Holländer eingeladen, 2015 will sich die überkonfessionelle und unabhängige Interessengemeinschaft zum weiteren Austausch und Studium ihrer Geschichte in Düsseldorf treffen. Außerdem gibt es dann wieder etwas zu feiern: das 60-jährige Bestehen der Apostolischen Gemeinschaft e.V.

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