Gastfreundschaft als Zeichen praktischer Nächstenliebe

Guardini sagte einmal: „Dies ist aller Gastfreundschaft tiefster Sinn, dass ein Mensch dem andern Rast gibt auf der großen Wanderschaft zum ewigen Zuhause.“

Ja, das ist sehr treffend. Dem anderen Rast zu geben.

Als eine Zwischenstation, eine Rast bei der Wanderschaft.

Die Bibel fordert uns im Hebräerbrief deutlich auf ( Hebr 13,2): „Vergesst nicht, Gastfreundschaft zu üben! Denn ohne es zu wissen haben manche auf diese Weise Engel bei sich aufgenommen.“

Und sie gibt uns viele Beispiele.

1. Mose/Gen 24: Der Knecht Abrahams kommt auf der Suche nach einer Frau für seinen Herrn Isaak zu Rebekka. An ihrer Haltung zur Gastfreundschaft will der Knecht erkennen, ob das die Frau für seinen Herrn Isaak ist.

Vers 18 ff.:  „Und sie sprach: ‚Trinke, mein Herr!‘ Und eilends ließ sie den Krug hernieder auf ihre Hand und gab ihm zu trinken.“  „Ich will auch deinen Kamelen zu trinken geben.“

Sie versorgte die Kamele und brachte den Knecht zu sich nach Hause, kümmerte sich um sein Wohl.

So kann Gastfreundschaft aussehen.

Es gäbe viele biblische Geschichten zu diesem Thema. Die Begegnung mit Fremden kann als Bereicherung des eigenen Lebens erfahren werden. Leben heißt „in Beziehung stehen“.

 

Als 1989 die Mauer fiel, da kamen viele Menschen „von drüben“.

Vor unserer Haustür ist ein großer Parkplatz. Dort stellte ein Trabbifahrer sein Fahrzeug ab und wollte mit seiner Familie übernachten. Mann und Frau mit zwei Kindern.

Sie richteten sich darauf ein, in diesem Trabbi zu schlafen. Vier Personen in diesem kleinen Trabbi. Ich beobachtete das.

Es war der 24. November, mein Geburtstag. Wir hatten einen Geburtstagshauskreis bei uns. Kurzerhand ging ich zu ihnen, klopfte an das Fenster und fragte: „Wollen Sie hier übernachten?“

Der Mann dachte, ich wollte ihn von dort wegschicken und war besorgt. Ich sagte ihm, er solle doch kommen mit seiner Familie. Wir haben Platz zu Hause. Und feiern gerade einen Geburtstag. Sie sollen unsere Gäste sein. Sie können mit uns zusammen Hauskreis erleben und auch übernachten.

Völlig überrascht und dankbar nahmen sie an.

Es kam ihnen vor wie in einem Märchen.

Später schrieben sie uns, dass sie damit bei den „Wessis“ nicht gerechnet hätten.

Schön, wenn Vorurteile dahin schmelzen.

Anderen Gastfreundschaft zu schenken kommt als Segen auf uns zurück, macht alle Beteiligten glücklich. Gastfreundschaft bringt uns mit anderen Menschen zusammen, mit anderen Schicksalen, macht unseren Horizont weiter. So dürfen wir teilhaben an den Lebensgeschichten anderer Menschen. Es bereichert unser Leben.

Wir geben nicht nur etwas, wir empfangen auch.

Weil Lebensfreude Zeichen der Gottesnähe sind, gehört zum Menschsein auch das Feiern mit Freunden, und natürlich auch mit neuen Bekanntschaften.

Dankbar nahmen sie an.

 

Durch meine Missionstätigkeit in vielen osteuropäischen Ländern habe ich viel Gastfreundschaft genießen dürfen. Das Bemühen der dortigen Glaubensgeschwister  mir zu dienen, berührte oft mein Herz.

Wir alle sind nur Gast auf dieser Erde und darauf angewiesen, dass Gott uns auch Gastfreundschaft gewährt. Er will der freundlich aufnehmende und überreich gebende Gastgeber sein (Psalm 39,13).

Deshalb ist die Bibel voll von Bildern und Erzählungen, in denen Gäste und Gastfreundschaft eine wichtige Rolle spielen.

Beide werden beschenkt, der, der Gastfreundschaft gewährt, und der, der sie annimmt.

Gastfreundschaft ist ein Sinnbild für das erbarmende Handeln Gottes, seine gnädige Zuwendung den Menschen gegenüber. Und gleichzeitig die nach außen gerichtete Liebe des Menschen zu seinem Nächsten.

Gottes Gastfreundschaft, seine offene Tür für uns, macht uns Mut und gibt uns Kraft. So können wir in seiner Art auch anderen Gastfreundschaft geben, nicht weil wir es müssen, sondern aus Liebe zu Gott und den Menschen.

Und jetzt, während ich diesen Artikel schreibe, ziehen viele Bilder an mir vorüber: Ich sehe Gäste, die unser Leben bereichert haben. – Und wo wir selbst Gastfreundschaft genießen durften.

Ja, Guardini hat recht, dem andern Rast zu geben auf dem Weg zur Ewigkeit bringt Segen ins Haus.

Und manchmal sind es „Engel“, die bei uns wohnen.