Vereinigung getrennter Freikirchen nach dem Fall der Mauer

Herbsttagung des Vereins für Freikirchenforschung

Die ‚Wende‘ beziehungsweise ‚friedliche Revolution‘ von 1989 in der damaligen DDR sei nicht einfach vom Himmel gefallen, betonte der 2. Vorsitzende des Vereins für Freikirchenforschung (VFF), Dr. Johannes Hartlapp (Friedensau) bei seiner Einführung in die Herbsttagung des Vereins (23./24.10.2009). Damit wollte er nicht etwa das göttliche Eingreifen bei diesem historischen Ereignis schmälern oder gar leugnen, sondern den Blick der Teilnehmer auf die vorlaufende Geschichte lenken, um dann umso besser die Jahre seit der Wende verstehen zu können. Lautete doch das Thema der diesjährigen von 45 Teilnehmern besuchten Fachtagung: „20 Jahre ‚Vereinigung‘ der deutschen Freikirchen in Ost und West – Versuch einer Bilanz“. Tagungsort war Schmiedeberg bei Dresden statt.

Man müsse bis ins Jahr 1933 zurückgehen, denn ohne die Machtergreifung Hitlers seien die Teilung Deutschlands und das Jahr 1989 nicht denkbar, so Hartlapp. Viele Christen seien damals rechtskonservativ gewesen und hätten sich vom Nationalsozialismus Bewahrung vor dem Bolschewismus versprochen. Doch dann sei, anders als in christlichen Kreisen erwartet, ein Teil Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg unter kommunistische Herrschaft geraten. „Es kam eine Entwicklung in Gang, die nicht voraussehbar war. Die Schwesterkirchen in Ost und West entwickelten sich eigenständig. Ihr Denken und ihre Empfindungen waren unterschiedlich. Deshalb war ein Zusammengehen nach 1989 nicht einfach.“

Über den Prozess des Zusammenschlusses der DDR-Altlutheraner mit der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) informierte Rektor Pfarrer Stefan Süß (Guben). Während in der Bundesrepublik durch den Zusammenschluss dreier lutherischer Minderheitskirchen 1972 die SELK entstanden sei, „wurde in der damaligen DDR die enge Zusammenarbeit zwischen der Evangelisch-lutherischen (altlutherischen) Kirche und der Evangelisch-lutherischen Freikirche in Sachsen von letzterer 1984 einseitig aufgekündigt“. Bis heute gehe die Ev.-luth. Freikirche gänzlich eigene Wege, während der Beitritt der Altlutheraner zur SELK zu einer geglückten Verschmelzung beider Kirchen geführt habe.

Pastor Gerd Sobbe (Leipzig) berichtete über die Gründung neuer Gemeinden des Bundes Freier evangelischer Gemeinden (BFeG) in Ostdeutschland nach der Wende. Ähnliche Erfahrungen mit Gemeindegründungen und daraus entstehenden Tochtergemeinden mache auch der Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden (BFP), teilte Ekkehardt Rückert (Dresden) mit.

Die Zusammenführung der Theologischen Seminare des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (BEFG) in Buckow und Hamburg war das Thema von Pastor Dr. Stefan Stiegler (Hamburg). Nach Gründung der DDR habe der Bund zunächst weiterhin Studenten aus Mitteldeutschland zur Pastorenausbildung nach Hamburg senden können, wo bereits seit 1880 das Theologische Seminar der deutschen Baptisten bestanden habe. Erst als die Entsendung immer schwieriger geworden sei, habe die Bundesleitung Ost Mitte 1959 beschlossen, eine eigene Ausbildungsstätte in der DDR zu gründen. Am 14. Oktober 1959 begann daher der Seminarbetrieb im vormaligen Diakonissen-Erholungsheim des BEFG in Buckow (Märkische Schweiz). Die Auflösung des Theologischen Seminars Buckow verlief laut Stiegler nach der politischen Wende unproblematisch. Mit Beginn des Wintersemesters 1991/92 „setzten zwölf Studierende aus Buckow ihre Studien in Hamburg fort, und drei Dozenten aus der ehemaligen DDR vervollständigten das Kollegium in Hamburg“. Der Prozess der Zusammenführung der beiden Ausbildungsstätten sei durch die Erarbeitung eines neuen, gemeinsamen Bildungskonzeptes des BEFG gefördert worden, das die Ausbildung der Hauptamtlichen stärker als bisher mit der Fort- und Weiterbildung der Ehrenamtlichen verzahnen sollte. Das habe dann 1997 zum Umzug des gemeinsamen Seminars nach Wustermark-Elstal und zur Gründung des „Bildungszentrums Elstal“ bei Berlin geführt.

Wesentlich komplizierter sei dagegen die Zusammenlegung der beiden Theologischen Seminare der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten verlaufen, berichtete Dr. Bernhard Oestreich, Dekan des Fachbereiches Theologie der adventistischen Theologischen Hochschule Friedensau bei Magdeburg. Die 1899 in Friedensau und 1924 in Darmstadt gegründeten adventistischen Seminare hätten längst vor der Teilung Deutschlands bestanden. Nach dem Fall der Mauer sei allerdings klar gewesen, dass die Adventisten in Deutschland nur noch eine Ausbildungsstätte für ihre Geistlichen benötigten. Im Vergleich zum Seminar „Marienhöhe“, Darmstadt, hätte Friedensau die schlechtere Infrastruktur gehabt. Die „Marienhöhe“ habe sich jahrelang vergeblich beim Hessischen Kultusministerium um die staatliche Anerkennung als Fachhochschule bemüht. Ein diesbezüglicher Antrag Friedensaus hatte dagegen bei der letzten DDR-Regierung Erfolg. Nach Beratung im DDR-Ministerrat unterschrieb am 10. September 1990 der Minister für Bildung und Wissenschaft die Urkunde, die Friedensau den Status einer staatlich anerkannten Theologischen Hochschule mit Wirkung vom 15. September 1990 verlieh. Dennoch habe es eine Reihe von Einwänden gegen den Standort Friedensau gegeben, sodass schließlich am 17. April 1991 die europäische Kirchenleitung der Adventisten in Bern entschieden habe, die künftige Pastorenausbildung in Deutschland nur noch in Friedensau fortzuführen – eine Entscheidung, die sich nicht ohne innere Spannungen zwischen „Ost“ und „West“ umsetzen ließ, wie Oestreich ausführte.

Bischof em. Dr. Walter Klaiber (Tübingen) wies darauf hin, dass bei der Evangelisch-methodistischen Kirche (EmK) die Zusammenführung der 1952 in der DDR in Bad Klosterlausnitz gegründeten Ausbildungsstätte mit dem Theologischen Seminar Reutlingen ohne Probleme verlief. Das DDR-Seminar sei nur gegründet worden, weil die dortigen Studenten nicht mehr nach Reutlingen kommen konnten. „Mit der Einheit Deutschlands entfiel dieser Grund.“ Ohnehin habe die EmK die innere Einheit zwischen ihren drei Jährlichen Konferenzen in Deutschland auch während der DDR-Zeit weitgehend aufrechtzuerhalten vermocht.

„Die Herrnhuter Brüdergemeine gehört in Deutschland zur Europäisch-Festländischen Provinz“, erläuterte Pfarrer i. R. Christian Müller, Niesky, sodass es auch während der deutschen Teilung eine gemeinsame Kirchenleitung mit Distriktdirektionen in Herrnhut (Oberlausitz) und Bad Boll (Württemberg) gegeben habe. Beschlüsse seien daher erst in Kraft getreten, wenn beide Distriktsynoden ihnen zugestimmt hätten. Nach der Wende seien beide Direktionen beibehalten worden, denn das für die Brüdergemeine historisch bedeutsame Herrnhut befinde sich geografisch am südöstlichen Rand Deutschlands. Außerdem gebe es eine weitere Direktion in Zeist/Niederlande.

Pastor i. R. Gerhard Röger, Dresden, informierte über die ehemalige Pressestelle beim Bischof der Evangelisch-methodistischen Kirche (EmK) in der DDR . Da die EmK dort keinen eigenen Verlag habe gründen dürfen, sei die Pressestelle als Unterverleger beim Unions-Verlag, Berlin, angesiedelt gewesen . Mit kostenlosen Lizenzen westlicher Verlage habe die Möglichkeit bestanden, Spruchkarten, Bildbände und Poster in großer Auflage herauszugeben. Durch die Wende hätten auch die Freikirchen Sendezeit für Gottesdienste und Andachten im Rundfunk und Fernsehen des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) erhalten. Sie seien beim MDR auch mit einem eigenen Senderbeauftragten vertreten.

Die Herbsttagung des Vereins für Freikirchenforschung (VFF) schloss mit Erfahrungsberichten der Pastoren Günter Schneider (Salzgitter) und Ulrich Grabowski (Altenburg) über den Dienstwechsel von freikirchlichen Geistlichen aus Ost- nach Westdeutschland und umgekehrt nach 1990. Die in Schmiedeberg gehaltenen Referate werden im Jahrbuch Freikirchenforschung dokumentiert, das der VFF herausgibt.

Christof Lenzen